
Klammeraffe
Heute ist wieder so ein beschissener Tag.
Ich bin gerade wach geworden. Es ist 4 Uhr morgens. Geschlafen habe ich kaum
nur drei Stunden. Die Nacht ist für mich eigentlich die schönste Zeit, so dunkel,
still, allein mit mir und meinen Gedanken. Ohne den Lärm der Welt und ohne
den Blick auf die Realität, die ich ohnehin kaum ertrage.
Ich sehe meine Wohnung kaum noch, die ich angefangen habe zu streichen
und dann mitten drin aufgegeben habe. Ein zweieinhalbwöchiger Lungeninfekt
hat mir die Kraft geraubt, überhaupt noch irgendwas anzupacken. Und so hänge
ich hier fest, wie in einem Hamsterrad, aus dem es kein Entkommen gibt.
Aufstehen, Kaffee trinken, Mails checken, irgendein blödes Onlinespiel anklicken,
auf das Handy starren und schon ist der Tag wieder fast vorbei, obwohl er kaum
angefangen hat. Das war heute mein Highlight. Mehr nicht.
Ich fühle mich so nutzlos. Perspektivlos. Ohne Job, ohne Idee, ohne Antrieb.
Und dann fliegt hier diese kleine verdammte Fruchtfliege herum, die mich noch
zu nerven schafft. Selbst die Energie, sie zu erwischen, fehlt mir.
Mein Kopf ist totales Chaos. Kein klarer Gedanke, keine Richtung, nichts Festzuhaltendes.
Und genau so sieht es auch in meiner Wohnung aus, genauso leer und vernachlässigt
und das zerreißt mich innerlich.
Meine Gedanken springen wild hin und her. Wie soll ich das bloß alles schaffen?
Körperlich bin ich ausgelaugt, finanziell am Ende, emotional ohne jede Motivation.
Immer wieder höre ich diese Worte, die mir meine Mutter als Kind ins Ohr flüsterte:
„Aus dir wird nie was.“ Ich fürchte, sie hatte recht.
Ich bin jetzt 46, und ich habe keine Ahnung, wie ich jemals etwas ändern soll.
Wie ich irgendwann mal funktionieren, leben, atmen kann, ohne mich selbst zu verlieren.
Meine beste Freundin – die einzige, an die ich mich klammerte, hat seit Wochen ein
verletztes Knie. Unser Kontakt beschränkt sich auf „Guten Morgen“ und „Gute Nacht“
und kurze Updates, wie es ihr geht. Weil sie für mich mehr war als nur Freundin.
Vor ihrem Unfall war sie die Kraft, die mich immer wieder aus meinem Schneckenhaus
zog, mich daran erinnerte, dass es noch Licht gibt, auch wenn ich die Dunkelheit
inzwischen umarmt habe.
Ich hatte mich so an unsere Momente geklammert, diese kleine Insel der
Gemeinsamkeit, die mir das Gefühl gab, nicht völlig verloren zu sein. Doch jetzt ist
auch dieser Halt zerbrochen. Ich kann ihr nicht helfen, nicht wirklich, und das quält mich.
Ich fühle mich einsam wie nie zuvor. Ich vermisse so vieles, was wir gemeinsam hatten,
vor allem die unbeschwerten Gespräche, das harmlose Blödeln auf dem Sofa.
Und BDSM? Weit weg momentan. Die Lust vergraben, der Antrieb zerfressen.
Mein Blog, der mir mal eine Art Zuflucht war, liegt brach. So viele Ideen in meinem Kopf
und doch rührt sich nichts, wenn ich nur daran denke, weiterzumachen.
Ich wollte mir eigentlich ein zweites Standbein mit BDSM aufbauen, etwas, das ich liebe
und das ich anderen beibringen möchte. Doch niemand interessiert sich wirklich. Klar,
es gibt Besucher, aber kaum jemand bleibt, schaut rein oder zeigt echtes Interesse.
Bin ich einfach unsichtbar? Bin ich zu wenig, zu anders? Oder will ich zu viel auf einmal?
Auf Instagram und Facebook sehe ich Leute, die es scheinbar so leicht haben. Sie posten
Spaß, Erfolge, Leben. Bei mir fühlt sich alles nur hohl und leer an. Kaum Erfolg, keine
Workshop-Anfragen, kein Interesse an meinem Magazin. Die Leidenschaft fürs Fotografieren,
fürs Schreiben, fürs Spielen, alles verblasst. Was ist nur falsch an dem BDSM, dass ich versuche
zu teilen? Bin ich selbst nicht gut genug? Werde ich deshalb überall abgelehnt? Dabei versuche
ich doch nur, die dunklen Schatten in mir zu besiegen, wenigstens ab und zu zuspielen und
nicht alles zu verlieren.
Ich hatte gehofft, durch neue Kontakte meinen sadistischen Monk wiederzufinden, meine Lust
zurück zu entdecken, das Dunkel zu durchbrechen. Ich habe Anzeigen geschaltet, bekomme
Reaktionen, doch sind sie von Leuten, die 100 Kilometer entfernt wohnen. Unnahbar. Unerreichbar.
Das Gefühl, dass meine Weiterentwicklung schlichtweg stagniert, frisst mich grade auf.
Ich werde weiter zurückgewiesen, nicht nur im echten Leben, sondern auch in der Welt,
die mir am wichtigsten ist. Selbst die geschriebenen Worte haben keine Kraft mehr.
Die oft oberflächlichen Gespräche fühlen sich an wie Energieverschwendung. Wenigstens,
wenn es nach 4 oder 6 Mails im Sande verläuft, bestätigt mich das wenigstens, dass ich
nichts wert bin.
Mein Kaffee ist mittlerweile kalt. Die Fruchtfliege ist ersoffen in der Tasse. Sie musste sich
keine Sorgen mehr machen, etwas zu fressen zu finden oder Energie zu haben. Sie hat
ihren letzten Akt vollbracht, genau wie ich mich manchmal frage, ob ich nicht ähnliches tue.
Werde ich vermisst, wenn ich nicht mehr da bin? Wahrscheinlich nicht. Ich vermisse die
Fliege nicht, obwohl sie mich genervt hat. Vielleicht nerve auch ich die anderen Menschen?
Ob ich da bin oder nicht, macht keinen Unterschied.
Ich fühle mich so unbedeutend. So unfähig, irgendetwas in mir, in meinem Leben zu verändern.
Mein Vorsatz, endlich meine Wohnung fertig zu streichen oder mich selbst wiederzufinden, alles
zerbricht immer wieder.
Also sitze ich hier, klammere mich an meine Zigarette, während die Stille mich umgibt.
Die Dunkelheit ist mein Begleiter, das Strampeln meine Routine. Und immer wieder frage ich mich,
wie lange ich noch da sein werde, bis ich aufhöre zu kämpfen.